Montag, 25. Juni 2007

Verloren im Labyrinth der Möglichkeiten



Woran denkt der Stadtbewohner gemeinhin bei dem Wort „Landgasthof“? An große Portionen, blank gescheuerte Holztische, rot-weiß karierte Tischdecken, Apfelbäume, gütige Großmütter, die noch ein Stück ihrer hausgemachten Erdbeertorte abschneiden, liebevoll glotzende Kühe und fröhlich schnatternde Enten auf dem Dorfteich hinter dem Haus? Da ich dem Dorf selbst glücklich entronnen bin, weiß ich, dass die Realität meistens anders aussieht. Dennoch können Landgasthöfe im besten Fall ehrliches, handgemachtes Essen mit Zutaten aus der Region und zu vernünftigen Preisen liefern. Hier in der Gegend hatte ich allerdings schon einige Male Pech - oder der aufgetaute Kuchen aus der Mikrowelle wurde inzwischen ohne mein Wissen zum kulinarischen Standard erklärt. Also träume ich noch immer davon, so ein angenehmes Lokal zu finden, in dem man Hausmannskost genießen kann, ohne selbst kochen zu müssen.

Der Tipp mit dem Landgasthof Podelwitz kam von Freund R., der dort vor einiger Zeit schon mal ganz gut gegessen hatte und der sich selbstlos bereit erklärte, uns beim Testen zu begleiten. Podelwitz ist ein Ortsteil von Rackwitz nördlich Leipzig und leider eines dieser Dörfer, in denen die unheilvolle Wirkung von Baumarkt-Sonderangeboten auf die Landbevölkerung plastisch demonstriert wird. Vor dem Landgasthof, einem urigen, mit Wein bewachsenen Fachwerkgebäude nebst einigen modernen Anbauten, ist die Dorfstraße an diesem Donnerstag Abend an beiden Seiten zugeparkt – ein gutes Zeichen, nur haben wir natürlich nicht reserviert. Im Inneren des Gebäudes ist von den Menschenmassen überraschender Weise nichts mehr zu sehen. Von der alten, dunkel holzgetäfelten Wirtsstube gelangt man in einen etwas zugigen Wintergarten und von dort aus in weitere Nebengelasse, in denen sich die Menge der Gäste verliert. Irgendwo am Ende dieser labyrinthischen Räumlichkeiten kann man auch draußen sitzen, wir jedoch installieren uns, da ein Gewitter dräut, in der Wirtsstube, den Ausgang sicherheitshalber fest im Blick.

Die Speisekarte erweist sich als ähnlich unübersichtlich wie die Räumlichkeiten: auf einer großen Schultafel sind etwa 35 Hauptgerichte angeschrieben, auf diversen Zetteln auf dem Tisch finden sich noch einmal so viele Angebote. Die Speisekarte versucht offensichtlich, für jeden Geschmack etwas zu bieten. Neben den Klassikern wie Sauerbraten mit Rotkohl und Klößen gibt es ein paar Pastagerichte, große Salate mit gebratener Hähnchenbrust, aber auch Exotisches wie Putencurry mit Reis und Mangochutney. Die Essenspreise sind eher hoch: Hauptgerichte kosten größtenteils ab zehn Euro, die Getränkepreise moderat: eine kleine Apfelschorle 1,65, ein großes, allerdings labberiges Radler, das Ich mag gutes Essen! nicht austrinken mag, für 2,90.



Nach längerer Entscheidungsfindung, die die durchweg freundliche und professionelle Bedienung nicht aus der Ruhe bringt, kommt unser Essen überraschend schnell. R. und Ich mag gutes Essen! beginnen mit einer Vorsuppe, saure Flecke vom Lamm für 3,50 Euro, ein selten gesichtetes Gericht, und sind davon sehr angetan.
Unsere Hauptgerichte rufen weniger Begeisterung hervor. Ich mag gutes Essen! bleibt auf der Innereienschiene und bestellt die Rinderzunge für 10,30 Euro. Die Zunge ist zart und ganz vorzüglich, die Kroketten stammen wie zu erwarten aus der Tiefkühltruhe, ebenso wie der aus der Jahreszeit gefallene Rosenkohl, der ausgerechnet jetzt im Frühsommer die Zunge begeleiten musste.
R. probiert das Roastbeef – gleichmäßig rosa durchgegartes, vorzügliches Fleisch – mit Remouladensauce, saurem Pilzsalat und Bratkartoffeln. Letztere findet er zu fettig, den Pilzsalat auf die Dauer etwas zu penetrant-sauer.
Ich mache mich über drei Lammkoteletts her (14,50 Euro), von denen leider nur eines andeutungsweise rosa gebraten wurde. Dazu gibt es die auch auf meinem Teller sehr fettigen Bratkartoffeln, grüne Bohnen, die zwar perfekt gegart sind, aber in Fett schwinmmen, und einen überflüssigen Klacks Krautsalat. Es fehlt die Würze, das Fleisch könnte zarter sein, etwas weniger Fett - ich bin unbefriedigt und bei dem Preis kann ich das auch nicht unter "egal, Hauptsache satt geworden" verbuchen.



Da auch meine Begleiter zwar gesättigt, aber nicht übermäßig zufrieden sind, bestellen wir noch zwei Desserts – eher belanglose Pflaumenklöße mit brauner Butter und Bröseln, die hier mit Kartoffelteig gemacht werden, sowie Leipziger Räbchen, mit Marzipan gefüllte und in Ausbackteig frittierte Pflaumen (5,60 Euro). Die Räbchen begeistern mich und versöhnen mit dem mittelmäßigen Hauptgericht, sie sind außen heiß und knusprig, die Pflaumen und das Marzipan im Inneren leicht warm und gut durchgezogen. Wenn die anderen Gerichte auch so wären, würde ich Stammkunde! So aber wird es wohl mein erster und einziger Besuch bleiben. Der Landgasthof Podelwitz versucht offenbar, es geschmacklich jedem Recht zu machen und macht dadurch kaum etwas richtig gut. Würde man alles von der Karte schmeißen, was hier geographisch oder jahreszeitlich nicht hingehört - wenn ich Mangochutney essen will, gehe ich ins Bollywood, Rehrücken im Juni stammt mit Sicherheit aus der Tiefkühltruhe - könnte der Rest richtig lecker werden.

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