Mittwoch, 21. Mai 2008

Die Goldene Schildkröte ist nicht mehr oder: Ein Tag mit einem Thema

Was sehen Sie? Wie Sie sehen, sehen Sie nichts

Wir sahen gestern auch erstmal nichts und liefen am Abend eines seltsamen Tages die Torstraße auf und ab, auf der Suche nach der Goldenen Schildkröte, in der wir kurz vor dem Jahreswechsel noch mit Besuch aus München gegessen hatten. Fünf Monate sind lang, jedenfalls in diesem Teil von Berlin. Was neues macht da häufig auf, tja, und anderes macht eben wieder zu. Die Räume der Schildkröte werden schon für den neuen Mieter renoviert.

Ein essenstechnischer Plan B war glücklicherweise schnell gefasst, denn ich hatte trotz der Strapazen des Tages noch nicht das Stadium erreicht, in dem mich akuter Hunger denk- und handlungsunfähig macht.

Dieser Restaurantbesuch brachte dann auch indirekt das Thema diese Tages zur vollen Entfaltung, von dem ich am Morgen glücklicherweise noch nicht wusste, dass es das Thema werden würde.
Begonnen hatte er frühmorgens mit einem Blick ins Klo, auf einen dramatisch steigenden Wasserstand und auf eine Badewanne voller Dreckwasser, die deutlich machte, dass es sich nicht um eine kleine lokale Rohrverstopfung handeln konnte, sondern dass sich gerade das Schmutzwasser des ganzen Gebäudeteils auf den Weg machte, um sich in unserem Badezimmer zu sammeln. Gute sechs Stunden später verließ ein ob der baulichen Besonderheiten unserer Wohnung erschöpfter Wasserinstallateur das Schlachtfeld, und ich machte mich daran, die Badewanne zu entschlammen.

Das Essen in der Goldenen Schildkröte sollte den Abschluss eines anstrengenden Tages bilden. Das zweite Lokal, das wir dann aufsuchten (und das nebenbei bemerkt für die Koinzidenzen gar nichts kann) liegt in der Nähe der Spree, so dass mir auf dem Weg dorthin ein fliegender Wasservogel ins frisch gewaschene Haar kackte. Nachdem GutesEssen mit einem Taschentuch das Malheur beseitigt hatte, gab es endlich was zu essen. Und was gutes sogar (also wenigstens hier kein Griff ins... na ihr wisst schon).

Kurz vor dem Bezahlen suchte ich dann die Toilette des Lokals auf und wunderte mich etwas über den ungewöhnlich hohen Wasserstand im blitzsauberen Becken. Nach Betätigen der Spülung blickte ich zum zweiten Mal an diesem Tag auf herumwirbelnde Papierfetzen und verstand.

Donnerstag, 15. Mai 2008

Reisender, wenn du nach Leipzig kommst - meide das Barfußgässchen

Unser Freund A. (der bekennende Kulinarier aus der Dresdner Randlage) hatte sich dieser Tage wieder nach Leipzig verirrt. Ein Medienkongress. Von dem ganzen wichtigen Input wurde er ganz fürchterlich hungrig und machte sich auf den Weg in die Innenstadt. Wir danken ihm für seinen Gastbeitrag:

"Kulinarisch war der Ausflug dieses Mal ein Desaster. Wir waren im Barfußgässchen bei einem Italiener [Don Camillo und Peppone]. Obwohl S. den irgendwie gut in Erinnerung hatte (die Pizzen seien prima, aber optisch traf das auch nicht zu). Jedenfalls nannte die Kellnerin auf meine Standard-Dienstleistertestfrage 'was man denn empfehlen könne' erstmal die Tageskarte und dann nach weiterem Bohren präziser Lammfilet in Öl mit Rosmarinkartoffeln.

Auf meinem Lamm waren dann so kleine Styroporkügelchen. Ansonsten war das alles andere als ein Genuss (für 14,50). Und der Gipfel waren die Kartoffeln, die nicht mal richtig gar innen waren. Das war dann auch ausschlagebend, auf die Nachfrage vom Personal 'ob alles OK sei', das ganze zur Nacharbeit zurückgehen zu lassen (habe ich bislang eigentlich nur einmal - auch in Leipzig - gemacht).

Aber jetzt kommts: Nach zehn Minuten stellen die mir einen anderen Teller hin. Die Kartoffeln sind immer noch halbgar und das Fleisch mittlerweile Gummi. Unglaublich!! Das habe ich dann ganz zurückgehen lassen. Espresso als Ausgleich fand ich nicht angemessen.

So habe ich zähneknirschend gezahlt und kann vor dem Barfußgässchen nur warnen. Was ist das überhaupt für eine Einrichtung, wo man zwischen den Tischen der Restaurants so durchläuft, dass man fast jedem auf den Teller starren kann? (Am besten mit der Frage: kann man das wirklich essen?)"
Tja, es scheint kein Zufall zu sein, dass sich die leckeressen-Gastrotipps für Leipzig eigentlich ausnahmslos auf Gaststätten außerhalb des Zentrums beziehen.

Essen lesen

Beim Essen zu lesen, ist angeblich ungesund, aber über das Essen zu lesen, hat meines Wissens bis jetzt noch wenig Schaden angerichtet. Aus diesem Grunde litt ich auch gestern unter argem Fingerzittern, als ich in der Leipziger Zweitausendeins-Auslage ein nur leicht ramponiertes Mängelexemplar des „Essen & Trinken“-Bands aus der ausufernden Schotts-Sammelsurium-Reihe für günstiges Geld herumliegen sah. Eigentlich mache ich nicht prinzipiell, sondern instinktiv einen weiten Bogen um Bücher, die in Bestsellerlisten stehen, aber in diesem Fall erinnerte ich mich voller Vergnügen an ein Interview des Literatur- und kulinarischen Gourmets Dennis Scheck in Deutschlands einziger ernst zu nehmender Literatursendung Druckfrisch. Der saß ale-selig mit dem ebenfalls gutgelaunten Ben Schott in einem typisch englischen Pub und tauschte spannende und unterhaltende Nichtigkeiten über eben jenes Buch und die (Koch- & Ess-) Welt aus. Scheck verbarg auch nicht, dass ihm – wie ihm unschwer anzusehen sei – der Gegenstand des gelungenen Buchs sehr am Herzen liege.

Kurzum: Das Fleisch war schwach, meine Hand wanderte mit dem Restkörper sowie dem Buch zu Kasse und lässt sich seitdem nur ungern von letzterem lösen. Ich habe dummerweise die Angewohnheit, solche Schnipselbücher zum Querlesen grundsätzlich wie Romane, also von vorne nach hinten zu lesen, weshalb ich sehr dankbar dafür bin, dass die Arbeit, den Inhalt möglichst unübersichtlich durcheinander zu quirlen, schon andere für mich übernommen haben. Ebenso dankbar nehme ich zur Kenntnis, dass die deutsche Ausgabe wesentlich mehr als eine Übersetzung ist, denn wie in meinem heiß geliebten „Wörterbuch der Gemeinplätze“ von Gustave Flaubert wurden auch hier die zahlreichen unübersetzbaren Wortspiele etc. adäquat ersetzt. Mein augenblicklicher Favorit ist z.B. ein kulinarisches Mini-Wörterbuch Österreichisch-Deutsch, das in mir heftiges Auswendiglern-Verlangen auslöste. Mit Sicherheit wird man 98% des Gelesenen wegen akuter Irrelevanz sofort nach dem Lesen wieder vergessen, was aber immerhin eine Zweitlektüre möglich macht. Der Unterhaltungswert würde diese zumindest rechtfertigen.

Was auch auf zwei weitere Bücher zutrifft, ohne die ich diesen Beitrag nicht zu Ende gehen lassen will. Denn es gibt zwischen den zahlreichen Auslassungen von Köchen bzw. Kritikern und noch zahlreicheren Kochbüchern ja noch diese kleine groteske Sparte von Büchern, die sich damit begnügt, ohne konkreten Gebrauchswert von der Ernährung zu handeln. Ein originelles und kompetentes, aber nicht allzu spannendes Beispiel dafür ist z.B. der Schmöker Cuisine fatale von Christa Weil, der alle möglichen Ekligkeiten auf den Tellern der Welt dokumentiert.

Hochgradig amüsiert habe ich mich hingegen bei zwei vollkommen anderen Vertretern dieser seltenen Spezies. Zum einen ist dies „Kochen für Rockstars“ von der Roten Gourmet Fraktion, den Tourköchen diverser deutscher, tendenziell linkslastiger Bands. In ihrem Erfahrungsbericht erzählen sie nicht nur über den logistischen Sonder- und Ernstfall einer Küche, die jeden Tag neu auf- und abgebaut werden muss, sondern auch über ihre zahlreichen originellen Kombinations- und Darreichungsideen. Anekdoten aus dem essfernen Musikeralltag fehlen natürlich ebenso wenig wie einige wenige Rezepte des Typs „Jägermeistermousse“ oder „Vegetarische Schlachteplatte“. Ein Dank geht an die Dame, die mir ihr Exemplar lieh und es sich dann prompt von mir abkaufen ließ.

Mindestens ebenso ans Herz gewachsen ist mir ein Kleinod des viel zu früh aus dem Leben geschiedenen Michael Rudolf. Das Sammlerstück aus dem Hause Reclam Leipzig hört auf den mittelspaßigen Titel „Hexenei und Krötenstuhl. Ein wunderbarer Pilzführer“ und verwirrt jeden, der mein Bad (dort wohnt das gute Stück) betritt und mich etwas besser kennt. Denn er/sie weiß, dass ich dank eines Kindheitstraumas in keinen Wald zum Pilzesuchen (der Freak spricht euphemistisch vom „Sammeln“) zu bekommen bin. Stattdessen tröste ich mich mit diesem 150-seitigen Scherz, der alles Mögliche ist, aber kein Pilzführer. Vielmehr verstecken sich hinter den Artikeln zu diversen – meines Wissens authentischen – Pilzsorten kleine Prosa-Goldstücke feinstens austarierter Komik, die eine tiefe Hassliebe zur deutschen Gesellschaft im Allgemeinen und ihren pilzbesessenen Parallelgesellschaften im Speziellen erkennen lassen. Klassische Farbtafeln mit Abbildungen vergrößern die Gefahr einer Verwechslung mit echten Pilzführern (ähnlich wie bei Giftpilzen) noch und Gastbeiträge u.a. von Wiglaf Droste lassen den unvorbereiteten Leser noch härter auf dem Boden der Realität aufschlagen.

Auf die Frage
Essen oder Lesen? antworte ich also entschieden: Sowohl als auch!

Mittwoch, 14. Mai 2008

Hurra! Die Dosenravioli wird 50

Was für ein Jubiläum: ein halbes Jahrhundert Nudel-Hackfleisch-Matsch in Geschmacksverstärkerpampe.

Alleine der Marktführer mit den zwei g soll laut Berliner Zeitung jedes Jahr 40 Millionen Dosen von dem Zeug unter die Leute bringen. Nimmt man jetzt noch No-Name-Produkte und die anderer Markenhersteller dazu, verschlingen theoretisch alle 80 Millionen Bürger dieses Landes einmal im Jahr eine ganze Dose glitschiger Fertignudeltaschen. Ich kann das nicht glauben - wer sind die Menschen, die sich diesen Mampf antun? Nur mit Campern, kochfaulen Studies und Fastfoodhaushalten sind solche Mengen doch nicht zu erklären. Oder doch? Ins Grübeln bringt mich allerdings der im Artikel zitierte Sternekoch Dieter Müller (doch nicht etwa der vom Schlosshotel Lerbach...), dessen drei Kinder laut seiner Aussage "auch mal gern ordentliche Dosenravioli, verfeinert mit frischen Kräutern und überbacken mit Käse, dazu frischen Blattsalat" essen. Herr Müller! Das kann doch nicht Ihr Ernst sein.

Unser Tipp: Macht eure Ravioli doch einfach mal selber, ein Rezept haben wir auch. Berliner können sich wunderbare frische Teigtaschen auch bei Leo Bettini holen - die gibts dort auch zum Mitnehmen.

Freitag, 9. Mai 2008

Vom Mehlwurm geködert

Brot Brezen Brezeln Mehlwurm BerlinKleines Sortiment der Mehlwurmbäckerei. Bei den Brezen müssen sie noch üben.

In Neukölln gibt es einen ansonsten sehr passablen Biobäcker, der sich den Namen eines Lebensmittelschädlings gegeben hat: Mehlwurm. Wer schon mal die gelben dicken Larven des Mehlkäfers gesehen hat, wird damit nichts Einladendes verbinden. Außer man ist Angler - als Köder sind die Tierchen nämlich hervorragend geeignet.

Die Backwaren der Vollkornbäckerei "Mehlwurm" sind allerdings einwandfrei - geschmacklich wie hygienisch, ich werde dem Laden öfter mal einen Besuch abstatten. Besonders köstlich fand ich das zylinderförmige Brot aus Vollkornschrot, die Schrippen (Ja! Brötchen bzw. Semmeln ohne Körner und sonstige Hinzufügungen heißen hier so - auch für Zugereiste) sind vollmundig und gut gebacken. Sehr zu empfehlen ist auch die pikante Gebäckstange mit Paprika. Die Laugenbreze fand ich etwas enttäuschend. Aber innen saftig-weiches, außen knuspriges Laugengebäck ist sowieso nur schwer zu bekommen.

Feingebäck produziert der Mehlwurm-Bäcker ebenfalls mit Mehl hoher Typenzahlen. Nicht so mein Fall, das muss ich zugeben, ich mag Nusszopf und Franzbrötchen lieber in Weißmehlqualität. Aber das ist letztendlich Geschmacksache - und wer zum Vollkornbäcker geht, bekommt eben Vollkorn. Der Nusszopf war auch gut gemacht und glänzte mit reichlich Nüssen, Wasabi als Franzbrötchenkennerin fand die Berliner Ausführung des Hamburger Nationalgebäcks ganz lecker, wenn auch nicht "original" in der Rezeptur. Wenn ich über Dosenmais im süddeutschen Kartoffelsalat schimpfe, bin ich gleich ein Dogmatiker. Aber ein Franzbrötchen aus Vollkorn darf dann auch wieder nicht sein.

Wenn der Mehlwurm jetzt noch gute Dinkelstangen ins Sortiment nimmt, dann könnte ich den Verlust des Leipziger Lieblingsbäckers langsam verschmerzen. Wer das wirklich gute Vollkorngebäck mal ausprobieren möchte, bekommt es auch in Friedrichshain, Moabit und Kreuzberg.