Dienstag, 25. November 2008

Ein Konditor wie früher

So sieht Verheißung aus

Es gibt ohne Zweifel kindliche kulinarische Prägungen. Neulich fiel mir das wieder auf, bei einem Besuch im Block House, dem ersten nach etwa 16 Jahren. In meiner norddeutschen achtziger-Jahre-Kindheit bedeutete Essengehen mit Mama und Papa unvermeidlich: Block House, Steak, Backkartoffel. Nach wie vor halte ich einen Restaurantbesuch, bei dem man sich einfach nur ein großes Stück gebratenes Fleisch zwischen die Kiemen schiebt, für eine ziemlich gute Idee. Letzte Woche in der Filiale an der Karl-Liebknecht-Straße fühlte ich mich gleich geborgen und aufgehoben, und die Backkartoffel war genauso gut wie in meiner Erinnerung.

In Bezug auf Süßes, Proust-Leser wissen Bescheid, scheint mir diese Prägung sogar noch stärker zu sein. Diese ganzen neuartigen Backwerke amerikanischer oder französischer Herkunft sind ja zugegeben nicht schlecht. Aber falls die Wahl besteht (leider besteht sie nur selten, es sei denn ich backe selbst, über das Unvermögen hiesiger Bäcker habe ich ja schon ausführlich lamentiert), also falls die Wahl besteht, ich zöge eine Scheibe Rührkuchen mit Schokoladensplittern aus der Kastenform (in Norddeutschland aus mir unerfindlichen Gründen „Puffer“ genannt), also ich zöge so eine Kuchenscheibe jedem Muffin vor. Oder ein Stück lockeren, gebackenen Käsekuchen jedem New York Cheesecake. Die Beispiele ließen sich fortsetzen. Unvergeßlich, weil seit zwanzig Jahren nie wieder irgendwo angetroffen, sind die kleinen Biskuit-Buttercreme-Igel vom Dorfbäcker. Klassische Torten - Sahne oder Buttercreme, keine "leichten" Joghurt- Buttermilch- oder sonstwas-Mischungen - sind ja glücklicherweise noch nicht ganz ausgestorben.

Eine erstklassige Quelle für diese Tortenklassiker hat sich nun in Neukölln aufgetan. Nach einem Besuch im Saalbau Neukölln, wo noch bis zum 11. Januar eine Ausstellung der Produkte europäischer Genossenschaften läuft, führte mein Weg zufällig am Café Reichert in der Karl-Marx-Straße 166 vorbei, das mich mit seinem schwungvollen Fassadenschriftzug quasi ferngesteuert zur Kuchentheke zog. Ein echtes Konditorei-Café wie früher! Mit etwa 15 verschiedenen Torten, einigen Blechkuchen, Trüffelpralinen, Baumkuchenspitzen und dem ersten Weihnachtsgebäck in der Vitrine. Alles bodenständiges deutsches Kuchenrepertoire: Käsekuchen, Sachertorte, Linzer Torte, Schokoladentorte, keine modischen Cappucino- Panna cotta- oder Tiramisu-Kreationen.

Fast verrückt vor Vorfreude wurde ich, als ich dann noch die Nusstorte dort entdeckte, so eine, wie ich sie aus dem Norden kenne - Helles Biskuit mit Haselnuss-Sahne und Marzipandecke. Im Café Rix heißt sie folgerichtig Lübecker Marzipantorte und kostet 2,40 Euro (Mitnahmepreis). Auf diese Torte hatte ich in den Wochen zuvor einen solchen Appetit entwickelt, dass ich sogar schon Rezepte herausgesucht hatte.

Lübecker Nußtorte

GutesEssen entschied sich für ein Stück Schwarzwälder Kirschtorte in der Sahne-Version (ebenfalls 2,40) (es gab sie auch mit Buttercreme). Zwar kann man natürlich alles auch vor Ort in einer Original-Caféeinrichtung aus den 1980er Jahren verzehren, aber so weit ging mein Nostalgieanfall dann doch nicht, die Bushaltestelle war außerdem nicht weit und das heimische Sofa lockte.

Zuhause machten wir uns dann über unseren Einkauf her, der genau so gut wie erwartet schmeckte. Lockerer Biskuitteig, lockere nussige Sahne, mandeliges Marzipan, die Kirschen in der Schwarzwälder Kirschtorte nur leicht alkoholisiert - perfekt. Definitiv ein Laden, wo ich nochmal hingehen werde, wenn ich den "wie-früher"-Geschmack brauche.