Montag, 23. Juli 2007

Bierliner Kehlenkühler

Getränke stehen bei lecker essen in Leipzig!, wie der Name schon sagt, eher in der zweiten Reihe und da man am Wochenende in Leipzig ja wieder ganz exzessiv diverse „Zeichen gesetzt“ hat, will auch ich ein solches hierhin setzen und mich den sommerlichen Genüssen in flüssigem Aggregatzustand zuwenden. Um genauer zu sein: den kühlen Genüssen nach deutschem Reinheitsgebot, welche der Berliner Markt zum Teil in die bundesweiten und somit auch für Sachsen relevanten Marktregale wuchtet. Wir schreiten also zu einer kleinen Verkostung.

Den Anfang macht Berliner Kindl, das bei mir den legendären Ruf genießt, mein erstes eigenes ganzes Bier überhaupt gewesen zu sein. Ich war zugegebenermaßen noch nicht 16 und hatte die 0,33l-Flasche von einem Buffet in der – wirklich! – Berliner Philharmonie mitgehen lassen. Sie wurde später im Bus geköpft und gelehrt. Und genau das ist der springende Punkt. Wenn einem, der noch nie Bier getrunken hat, das Bier auf Anhieb schmeckt, dann kann, ja muss etwas nicht stimmen. Zum Glück ist auf die Brauerei Verlass. Auch heute rangiert das Gebräu in der Kategorie „Untrinkbarkeit“ bei den deutschen Bieren bei mir ganz dicht hinter Warsteiner. Es ist mit 4,6% das dünnste hier im Text und das bestätigt auch jeder Schluck – schwach, wenig Kohlensäure, fast süßlich, vollkommen reizlos. Mir ist schleierhaft, wie Kindl bei einem Biertest zum Geschmacksurteil „Herbheitsgrad: normal“ kommen konnte. Obwohl dort die Einstufung eines Spülwassers wie Breznak als „herb“ und „frisch“ eigentlich alles erklärt. Da kam es mir gerade recht, dass die Brauerei neben dem „Märkischen Landmann“ auch das Potsdamer „Rex-Pils“ herstellt, das mir kurz nach der Wende mit seiner aufdringlichen Preußentümelei mächtig auf den Keks gegangen ist.

Die Konservativen unter den Lesern wird es freuen, dass dieses Ausmaß an Zuverlässigkeit nicht nur auf der Westseite der Hauptstadt zu finden ist. Denn Kandidat Nummer 2, das Berliner Pilsener, weckte mir ebenfalls nie positive Assoziationen. Das war das Zeug, das in abgeschabten Kleinflaschen mit zerrissenen Etiketten in jeder Kaufhalle vor sich hin gammelte und dementsprechend auch gerne von den Vorläufern der Kandidaten, die heute mit den rotsterngeschmückten Glasmantelgeschossen vor den REWE-Märkten campieren, konsumiert wurde. Wie groß war meine Freude, dass der damit verbundene schale Geschmack auch 2007 noch als Geist aus der Flasche gehüpft kommt. Mann muss es ja noch nicht mal trinken, ein Geruchstest genügt schon. Das fünfprozentige Gebräu gibt sich zwar qua Werbung jetzt als hippe Gesamtberlinmarke, hat den Sprung über den Mauerstreifen aber nie geschafft (nachzulesen u. a. hier). Dafür sorgt schon der nachwendische Besitzer Schultheiss, der sich nicht sein westdeutsches Hopfenwasser abgraben lassen will.

Womit wir bei Kandidat Nummer drei wären – dem zweiten Westberliner Klassiker Schultheiss Pilsener, der ebenfalls mit 5% Alkoholgehalt daherkommt. Darüber hinaus bekommt man hier erstmals den Eindruck, dass das Getränk durchaus einen Hauch von Natur im Bouquet haben kann und Hopfen und Frische sich nicht gegenseitig ausschließen. Natürlich werden die Würzfreunde aus norddeutschen Landen angesichts der ostmitteldeutschen Brauereiprodukte nach wie vor verschreckt zu Jever und Flens greifen, aber für seine geografische Herkunft ist die Gerstenkaltschale in Ordnung. Ähnlich Trinkbares liefert z. B. Hasseröder, das ja auch keine Hopfengranate, aber trotzdem gut ausgewogen ist. Außerdem hat der Konzern bei mir ein privatsubjektives Bonussteinchen im Brett, weil er in Frankfurt (Oder) nicht nur seine eigene Marke abfüllt, sondern auch vor einigen Jahren die Billigmarke Frankfurter Pilsener lanciert hat. Moment, habe ich „Billigmarke“ geschrieben? Nein, der Stoff ist nicht billig, sondern hochgradig preiswert. (Für Testwillige: das rotköpfige Export meiden und gleich zum kräftigeren grünen Pils greifen!)

Es folgt, gewährt mir die Bitte, in diesem Bunde der … Vierte. Auserkoren wurde dafür das Berliner Bürgerbräu – eine Marke, die bisher trotz einer bis ins Jahr 1753 zurück reichenden Tradition vollkommen an mir vorbeigegangen und deshalb auch schuld an diesem Mini-Test ist. Beim Image – der Werbeetat für Berlin ist offensichtlich nicht klein – wird heftig auf die lokalpatriotische Drüse gedrückt. Das ist auch in Ordnung, handelt es sich doch um ein Unternehmen, das seit seiner Gründung in mittelständischen Händen ist und auch in seiner Produktpalette (Weiße, Bock etc.) Bodenhaftung zeigt. So kennt es der Leipziger ja von Bauer Bier, das unerschrocken in Reudnitz vor sich hin dümpelt. Was verbirgt sich also hinter dem bräunlichen gläsernen Vorhang? Eine dicke Überraschung. Denn es ist ein Pils, das ein bisschen „schwarz“ schmeckt, also leicht süßlich und malzig. Meine erste Assoziation waren Landbiere wie das Torgauer, die eine sehr ähnliche Rezeptur zu haben scheinen. Und wenn ich den Terminus bei den Whisky-Kenner klauen darf: Es schmeckt sogar ein wenig rauchig. (Warum nicht, in Polen wird ja auch Räucherbier verkauft.) Also, wenn es gekühlt ist, durchaus sympathisch.

Es folgt die Auswertung. Mit Kindl und Berliner Pilsner muss man groß geworden sein, sonst wird sich ihr Zauber nicht erschließen. Kindl ginge noch für Menschen, die kein Bier mögen. Das Bürgerbräu hingegen überrascht mit einem ruralen Geschmack, der in der Millionenmetropole ein angenehmes Kontrastprogramm darstellt. Der Islay unter den Berliner Bieren sozusagen. Für meinen mitteldeutschen Gaumen ist Schultheiss das Bekömmlichste, womit man sich den Sommerabend an der Spree vertreiben kann. Und wenn ich mal ganz gute Laune habe, gebe ich mir dir Breitseite und pilgere nach Köpenick in die kleinste Brauerei Deutschlands auf dem Schlossplatz. Soll angeblich scheußlich sein.

4 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Hi,

du musst mir mal am Tel. erklären, wer bei dir hier alles mitmacht. Früher nanntest du dich "ich mag gutes Essen!", nun "gutes Essen"?

Auf deiner Party war auch eine Experimentalpsychologin, die machte zu Silvester mit 10 Gruppen (a ein bis zwei Personen) Blind-Biertests.
Ergebnis: Insgesamt schmeckten den Leuten die Billigbiere besser als die Premiumbiere, womit sioe völlig neben ihrer eigenen Einschätzung lagen. Drei Gruppen waren Placebo-Gruppen, die bekamen immer das gleiche Bier, was sie aber zwischen völlig schlecht und supertoll bewerteten.

Eintopf hat gesagt…

Wie der neue Eintrag geklärt haben dürfte, bin ich unschuldig, was die Partys von "Gutes Essen" angeht. Schuldig bekenne ich mich hingegen, einen Pils-Blindtest für 50 Personen durchgeführt zu haben, in dem deutsche, polnische und tschechische Marken konkurrierten. Hier kamen die Premiumbiere besser weg, aber die Polen gingen aus unerfindlichen Gründen gnadenlos ein. Das hat mir sehr weh getan.

Anonym hat gesagt…

Blindtests von Bieren - da ist doch das Thema meiner nächsten Geburtstagsfeier gesichert. Allerdings, wie ist das mit den Gläsern. Immer das neue Bier in das benutzte Glas? Immer ein neues Glas ist ja vom Aufwand her zu schwierig. Und Pappbecher gehen ja gar nicht. Hilf mir, Eintopf. Wie hast du das geregelt und gabs andere Schwierigkeiten?

Eintopf hat gesagt…

Tipps zur Blindverkostung: Ein Glas pro Person ist okay, man kann es ja zwischendurch ausspülen. Zum Neutralisieren nimmt man am besten Brot. Wichtig ist, dass die Temperatur immer gleich ist, sonst gibt es Riesenschwankungen! Ich habe ja u.a. auch Blume, Kohlensäure, Farbe und Geruch mit Punkten bewerten lassen (Sieger war übrigens Pilsner Urquell).
Aber unerwartet schwierig war, dass wir mit in Geschirrtücher eingewickelten Flaschen eingegossen haben (anders geht das bei 50 Mann nicht), da aber immer noch die Farbe der Flasche zu sehn ist - so sind Flensburger, Beck's oder Jever natürlich zu erkennen. Umfüllen geht, aber die Kohelsäure entfleucht. Für Ideen bin ich sehr dankbar.
Nete Idee: Manche schmuggeln eine Flasche zweimal rein udn gucken, wie unterschiedlich die Proben bewertet werden. Das kann peinlich enden.

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