Mittwoch, 25. Juli 2007

Nur einen im Tee – warum so sparsam?

Warum habt ihr mir das angetan? Wie konnte das passieren? Durch welche ungünstigen Verkettungen war es möglich, dass so viel Schönes so lange an mir vorbei gehen konnte? Denn eigentlich war es purer Zufall, dass ich mich im beschaulichen Schöneberg verabredet hatte, das mir bisher lediglich durch einen eher unrühmlichen Techno-Track in Erinnerung geblieben war.

Und auf einmal war ich mitten im Schlemmerparadies gelandet, das einen irdischen Namen trägt: Akazienstraße. Zwischen Kaiser-Wilhelm-Passage und Kirche/U7-Haltestelle erstreckt sie sich und lädt auf ca. 300m zu einer kulinarischen Weltreise ein. Darf’s etwas Indisches sein? Oder doch lieber türkisch? Ach so, heute Lust auf französische Crepes? Und anschließend aus Neugier zum Tibetaner? Alles nur wenige Schritte voneinander entfernt. Und der Raum dazwischen ist ebenso anregend mit kleinen Läden gefüllt, die Rioja-Weine (geliebter Tempranillo!), Back- oder Konditoreiwaren feilbieten. Sogar eine Chocolaterie hat sich hier eingenistet und lässt sofort an Juliette Binoche denken.

Jedoch mir stand nicht nach Speise der Sinn, eine andere Lücke galt es zu schließen. Ich moniere nämlich seit geraumer Zeit, dass jede deutsche Ecke, die nicht mit einer Back-Factory zugetrümmert wurde, mit einem amerikanisch angehauchten Coffee-Shop verbaut wird, aber keiner auf die Idee kommt, mal was anderes als den obligatorischen Meßmer-Beuteltee auszuschenken. Man sollte zu diesem Thema mal einen Bildungsausflug nach Prag organisieren.

Oder nach Berlin. Denn hier gibt es zum Glück in der Akazienstraße 10 ein Lokal, das sich laut Motto seit anderthalb Jahren der „tea passion“ verschrieben hat – das Aurum. Zwei überschaubare Räume werfen sich dem Gast vor die Füße, bei gutem Wetter lockt der Freisitz, schöner aber sitzt man drinnen bei schlechtem Wetter auf Sitzkissen und weichem Teppich zu ebener Erde. Für Rückgratgeschädigte gibt es aber auch das klassische Café-Gestühl. Schnickschnack fehlt und abends wird das Licht runtergedimmt. Wenn die Kerzen angezündet sind, wird es richtig gemütlich. Man darf auch alleine kommen, für Einsame steht ein W-LAN-Hotspot zur Verfügung. Folglich hat der Laden schon eine Menge Stammkundschaft.

Die Karte hat gegenüber den Prager Teestuben einen Nachteil, der gleichzeitig ein Vorteil ist – sie ist zwar wesentlich kleiner als die lexikongroßen Wälzer im Land der Böhmen und Mähren, dafür ist aber auch alles vorrätig und man kann sich leichter entscheiden. Ein weiterer Vorteil gegenüber den slawischen Artgenossen ist der Umstand, dass mehr als ein Wasserkocher in der Küche steht, also zum Tee und längeren Verweilen mehrere Suppen, einige warme Gerichte (auch vegetarisch) und Süßspeisen locken, dazu noch diverses Süßgebäck.

Ich wählte zum Einstieg einen Chili-Ingwer-Tee für 2,10 EUR, der mehr hielt als er versprach: In Glastasse offenbarte sich ein voluminöser, leicht scharfer Geschmack aus zahlreichen weiteren Zutaten: Birne, Apfel, Papaya, Feige sowie (Achtung!) Bärlauch, Spargel und roter Pfeffer. Dadurch neugierig geworden, musste ich weiter probieren, denn die Karte bietet noch viel mehr Abenteuer. Meine Begleitung orderte einen sanften, ausgewogenen Jasmintee, ich musste meinen Forscherdrang stillen und entschied mich für „Mo Li Bai He“ – eine Teerose aus Grüntee, Jasmin und Lilie zu 5,70 EUR. Das klingt viel, bringt aber auch vier bis fünf Aufgüsse, denn das Ganze wird mit einer Tasse, einem Glaskännchen zum Aufgießen und einer prall gefüllten Thermosflasche mit heißem Wasser gereicht. Außerdem bekommt man nicht nur ein kompexes geschmackliches, sondern auch optisches Erlebnis – die Rose öffnet sich langsam und farbenfroh, so dass jeder Aquarianer vor Neid grün anläuft.

Bei der Verkostung ist uns etliches entgangen, was ein Wiederkommen locker rechtfertigt: etliche weitere Sorten, Tee latte, sieben verschiedene Teerosen (auch zum Mitnehmen) und vier verschiedene Teezeremonien (japanisch, englisch, russisch), jeweils mit landestypischen Features wie z. B. Ingwergebäck, Scones oder Samowar. Wir knusperten uns immerhin noch durch die gemischte Süßigkeitenschale mit russischem Konfekt, Kirschkuchen und scharfen Ingwerstäbchen. Wie alles andere wurde auch dies fix und freundlich von der redseligen (im positiven Sinne!) Bedienung gebracht.

Ein Wermutstropfen, der den Tee nur leicht verbittert hat, war zum einen die zu laute und unpassend soft- und ethnopoppige Musik von der Stange, da wäre sicher noch was zu machen. Außerdem geht ein entweder sehr alter oder sehr aufgetauter Blechkuchen in dieser erlesenen Umgebung zwangsweise gnadenlos ein. Trotzdem habe ich von diesem – nomen est omen – Goldstück die Visitenkarte mitgenommen. Zum Empfehlen oder – noch besser – Selberbenutzen.

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