Am Ende eines Jahres zieht man gern einen doppelten Strich, um nachzuschauen, was es gebracht hat und was nicht. Ich will diese seltene Gelegeneheit nicht ungenutzt verstreichen lassen und über einige originelle oder bemerkenswerte Dinge Rechenschaft ablegen, die wegen Irrelevanz oder Mangel an Anlässen in den letzten zwölf Monaten liegengeblieben sind. Die Auswahl von Kriterien ist wie immer willkürlich und streng subjektiv.
Gerichtsrätsel des Jahres: Allerlei?
Es war November, als ich mit einem großen Loch im Magen durch Wiens 15. Bezirk stapfte, die Fans brüllend gen Happel-Stadion ziehen hörte (wo sie dann auf Platz und Rängen von ihren türkischen Gegnern kaltgestellt wurden) und rätselnd vor folgenden, neugierig machenden Schildern hängen blieb, welche die Abendkarte des "Restaurant Best" (Nähe Schloss Schönbrunn) anpriesen:
Mich machte dieses Begriffs-Unschärfe so neugierig, dass ich beschloss, herauszubekommen, was sich hinter "Alerlej" bzw. "Allelerei" außer Legasthenie verbirgt. Leider entpuppte sich das Ganze als eine Zusammenstellung von zu Tode fritiertem Schnitzel, ebenso zugerichteter Leber und noch am erträglichsten aufgetauten und fritierten Gemüsemedaillons. Versöhnlich waren lediglich der geringe Preis (6,50 EUR incl. Frittatensuppe), das kühle Wieselburger Bier dazu und das oben erwähnte Fußball-Gemetzel. Das lenkte auch von der angenehm gruseligen Ex-DDR-Frühneunziger-Inneneinrichtung ab.
Misserfolg des Jahres: vegetarisches Schaschlik
So einiges habe ich in diesem Jahr in der Küche Essbares zustande bekommen, aber ein Gericht nehme ich mir immer noch übel. Angeregt durch ein sehr deliziöses Schaschlik in der Dresdner Planwirtschaft, bemühte ich mich, für meine Herzensdame ein Pendant ohne Fleisch zu kreieren. Obwohl sie bis heute behauptet, dass es ganz lecker gewesen sei, nehme ich mir dieses Machwerk aus Räuchertofu, Zucchini, Paprika und Zwiebeln noch heute übel. Außen war es angekokelt, innen roh, nichts nahm den Geschmack voneinander an und die Marinade verteilte sich überhaupt nicht. Ich rufe also alle Blogleser auf, mir schnellstens Vorschläge zukommen zu lassen, wie man es besser machen kann.
Service des Jahres: Drogerie-Bistro, Erfurt
Das kleine Lokal mitten auf dem Touristen-Highway Erfurts am Wenigermarkt 8 in Rufweite der Krämerbrücke ist in vielerlei Hinsicht erwähnenswert. Zum einen hat es sich nicht nur in einer alten Drogerie eingerichtet, sondern Möbel und Dosen gleich stehen lassen.
Außerdem untertreibt es mit seinem Namen, denn der Mix aus deutscher, italienischer und französischer Küche übertrifft Erwartungen, die man mit dem Wort "Bar" verbindet. Der Familienbetrieb liefert viel Schmackhaftes mit originellen Rezeptideen und jahreszeitlichen Innovationen und obendrein noch selbstgemachtes Backwerk. Was die Ex-Drogerie aber zu dieser Rubrik verhilft, ist der Umstand, dass keine Pfefferstreuer auf den Tischen stehen, sondern die Dame des Hauses höchstselbst einige Minuten nach dem Servieren des Gerichts am Tisch auftaucht, eine bedrohliche Mühle "so groß wie ein afrikanisches Männerbein" (Rainald Grebe) schwingt und die gewünschte Menge Pfeffer auf dem Teller verteilt. Auf Zuruf auch gern mehrmals.
Leipziger Neuling des Jahres: Tamers Bistro
Neben dem hier bereits ausführlich besprochenen Chang, der zur ständigen Wiederkehr animiert, hat mich dieses Jahr vor allem eine kleine Leipziger Neuentdeckung sehr gefreut. Es ist ausgerechnet ein Bistro, das genau genommen "nur" eine Edelversion des klassischen Dönerladens ist - das Tamers-Bistro in der Jahnallee 31. Der Chef Tamer Örs, der oft selbst am Tresen steht, serviert nicht nur das Standardprogramm in Fladenbrot und Pizzateig, sondern bietet ein schmuckes Baukastensystem - man stellt selbst zusammen, was man gerne zu sich nehmen möchte. Die große Auswahl und die frischen Zutaten trieben schon unsere Kollegen von der Dönerflatrate in die hemmungslose Begeisterung. Meine seltenen Stadionbesuche sind nun unweigerlich mit einer Tamers-Visite verbunden.
Realsatire des Jahres: Weingut Pallhuber
Die jährliche Wiederholung des Loriot-Zusammenschnitts "Weihnachten bei Hoppenstedts" lässt mich hoffen, dass ich das Geschäft "Pallhuber & Söhne" nicht ausführlicher vorstellen muss. In einem Sketch entert ein Klinkenputzer dieser Firma die Wohnung seines Opfers Frau Hoppenstedt, kippt Weine ineinander bzw. in sich und die Gastgeberin und lallt dabei stets Lobpreisungen auf seine Firma. Sehr erstaunt war ich jedoch, als ich bemerkte, dass der Betrieb ausnahmsweise nicht der Phantasie des Herrn von Bülow entsprang, sondern tatsächlich existiert und sogar eine Niederlassung in Leipzig-Plagwitz hat. Allerdings wirkt der Briefkasten ebenso vertrauenswürdig wie der torkelnde Vertreter.
Kulinarische Emotion des Jahres: der Grinsekuchen
Essen ist oft eine einseitige Angelegenheit. Man bereitet es zu, man serviert es, man schnuppert daran, man genießt es. Von der anderen Seite hat man eigentlich keine Aktivitäten zu erwarten, es sei denn, man wartet so lange, bis sich eigenständige Kulturen bilden, die nicht für den Genuss bestimmt sind. Wie groß war also meine Freude, als mir ein Yes-Törtchen-Imitat aus dem Supermarkt nicht gleichgültig, sondern außerordentlich fröhlich entgegen trat.
Öffnungszeiten des Jahres: Ristorante Teatro, Erfurt
Nochmal zurück nach Erfurt. Dort rief das italienische Restaurant am Mainzerhofplatz 2 neben dem Theater bei mir große Verwunderung hervor. Gewiss hat das Haus durch seine exklusive Nähe zum neu errichteten Kulturtempel eine hervorragende Lage, die ihm in der beeindruckend großen Gaststättenlandschaft dieser Stadt einen Wettbewerbsvorteil verschafft. Aber ob man Touristen, Schauspieler und Theaterpublikum tatsächlich mit so dermaßen kurzen Öffnungszeiten an sich binden kann, halte ich für fraglich.
Release des Jahres: Bautz'ner Senf-Brotaufstrich
Als ich im Sommer einen Zwischenstopp in Bautzen machte, war ich von der Stadt nur mäßig begeistert. Wirklich erfreut hat mich eigentlich nur ein Glas mit streng limitiertem Brotaufstrich, den ich im Werksverkauf von Bautz'ner erstanden hatte. Dort berichtete man mir, dass es sich um eine Testreihe handele, anhand derer man die Eignung zur Serienproduktion prüfe. Glücklicherweise waren die Tester derselben Meinung wie ich - seit Frühherbst stehen die cremigen Senfpasten, die man sicher auch gut als Gewürz benutzen kann, in drei Varianten in allen größeren Märkten Ostdeutschlands im Regal. Und einige davon sind bereits in meinem Magen verschwunden.
Damit wäre der doppelte Schlusstrich gezogen und der Zeitpunkt für einen kurzen Blick nach vorne gekommen. Da der Winter offensichtlich gerade temperaturbezogen an Fahrt aufnimmt, lege ich euch zum Aufheizen wärmstens einen Polen-Import ans Herz: grzane piwo bzw. Glühbier!
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