Gruß von der Theke
Die seltenen Sonntagsbesuche bei meiner Großtante Margarete - die nur zärtlich "Rettl" genannt wurde - liefen immer nach dem selben Muster ab. Wir wurden ins Wohnzimmer geführt, das mit Möbeln vollgestopft war, und quetschen uns auf das plüschige Sofa. Häkeldeckchen lagen auf dem Couchtisch, eingedeckt mit geblümten Rosenthal-Porzellan. Rettl servierte selbstgebackenen Kuchen und dünnen Brühkaffee. Dann langweilten wir Kinder uns gefühlte fünf Stunden.
Das ist viele Jahre her. Aber als wir am Sonntag das Café Johann Rose betraten, kam es mir vor, als hätte jemand die gute Stube meiner Großtante nach Berlin in die Forster Straße 57 verfrachtet. Nein. Eigentlich sind es drei bis vier Rettl-Wohnzimmer, die den Gastraum verstopfen. Es fehlen auch nicht die Blümchentassen, die Troddelkissen, die Häkeldecken. Dafür gibt es W-Lan, einen Plastikputto und Chansons statt Blasmusik.
Blümchentasse, aber kein Blümchenkaffee
Der Kuchen ist selbstgebacken und lecker wie bei der Tante, der Kaffee natürlich besser. Wir tranken zu klassischem deutschen Käsekuchen und Walnusskaramell-Torte köstlichen Cappucchino. Die Preise sind Kreuzberg-kompatibel: Gebäck 2,50 Euro, das Heißgetränk 2 Euro. Langeweile kam nicht auf. Coffeetablebooks aus früheren Zeiten ("Goldenes Coburg - die Fränkische Krone") und Bastelbücher aus den 80erjahren versüßten uns den Sonntag im Plüschiversum. Das ist übrigens größtenteils rauchfrei, ein knuffiges Separée erlaubt die Zigarette zum Aperitif.
Immer frischer Blumenschmuck
Sonntag kann man im Johann Rose gepflegt brunchen. Ob die Schinkenröllchen mit Dosenspargel auch eine Referenz an die 60er und 70er sind? Tomaten mit Fleischsalatfüllung und "Fliegenpilze" aus gekochten Eiern mit Tomatenhut und Mayonaisetupfern konnte ich nicht entdecken.
Außen Kreuzberg, innen knuffig
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