Mittwoch, 21. Februar 2007

Auswärts essen: Schiffergesellschaft Lübeck oder Buddenbrooks heute


Die Schiffergesellschaft - sozusagen das Lübecker Äquivalent zu Auerbachs Keller – ist eines dieser Lokale, die man gerade als jüngerer Mensch eher nicht aus eigenem Antrieb aufsucht.
Zugegeben, das Lokal ist dank der alten Einrichtung wirklich urig, man sitzt im vorderen Teil auf langen Holzbänken an Tischen aus dicken Eichenplanken, die Speisekarte bietet verfeinerte deutsche Küche, natürlich zu gehobenen Preisen, und es scheinen dort nicht nur Touristen zu Gast zu sein.

Würden die Buddenbrooks heute eine Familienfeier begehen, würden sie sicherlich in die Räume der Schiffergesellschaft einladen – man kann dort einen dunkelblauen Zweireiher mit Goldknöpfen tragen, ohne aufzufallen, der Service ist äußerst zuvorkommend, es gibt Lübecker Rotspon, die Teppichböden sind dick und dunkel, ebenso wie die Holzvertäfelungen an den Wänden, die Speisen werden elegant angerichtet, und dass die Substanz und der frische Eigengeschmack fehlt und die Servietten etwas fadenscheinig sind – nun ja, dafür macht der Laden doch ganz schön was her.


Am Wochenende nun war ich dort zu einem Jazz-Frühschoppen eingeladen, einer privaten Feier in den hinteren, ebenfalls sehr gediegen-hanseatischen Räumlichkeiten des Hauses. Leider unterlag ich hinsichtlich des Begriffes „Frühschoppen“ einem Irrtum: Für mich hatte ich die Einladung mit „Brunch“ übersetzt, ein Buffet zum Sattessen erwartet und deshalb vorher nicht gefrühstückt. Ein schwerer Fehler - merke: Frühschoppen heißt alkoholische Getränke und kleine Häppchen. Keine Brötchen, keine Aufstriche, kein Kaffee. Und das Buffet wird erst gegen 12.00 Uhr eröffnet. Statt handfester Speisen gab es also etwas, das die ausliegenden Karten neudeutsch als „maritimes Fingerfood“ bezeichneten, Konsul Buddenbrook hätte wahrscheinlich Canapé gesagt.


Häppchen sind im allgemeinen kleine kulinarische Kabinettstückchen, Nahrungszubereitung in ihrer verfeinertsten Form: verschiedene gegarte Lebensmittel, Pasten und Saucen werden kunstvoll gerollt, ausgestochen, geschichtet, dekoriert - und bilden im günstigsten Fall einen perfekten Zusammenklang verschiedener Aromen und Konsistenzen, der auf der Zunge zergeht. Die Winzigkeit dieser kleinen Leckerbissen zeigt uns, dass es hier nicht um profane Sättigung geht. Die Herstellung erfordert Präzision und Können, der Koch (und der Gastgeber, der sie ordert) kann damit richtig Eindruck schinden, Nachmachen zu Hause kann nur für Leute empfohlen werden, die Erfahrung mit filigranen Bastelarbeiten und viel Zeit haben. Gute Häppchen bringen unterschiedliche Geschmacksrichtungen und Texturen zusammen, verbinden Süßes mit Salzigem, Knuspriges und Weiches, Frisches und Erdiges.

Wie gesagt: Das ist die Theorie. In dem hier besprochenen Fall ahnte das Küchenteam anscheinend den Altersdurchschnitt der Gäste voraus und verzichtete weitgehend auf Salz und andere Gewürze. In der Konsistenz erinnerten die sicherlich schon am Vorabend gefertigten Teilchen zum Teil an Sushi-Attrappen aus bemaltem Plastik: trocken, hart, bröselig. Kunstvoll durchaus, aber kein Genuß.

Räucheraal mit Backpflaume im Graved Lachs war fast noch das beste – ein Zusammentreffen von süß und salzig und vor allem nicht so trocken, dafür aber ziemlich fettig.
Shrimpsbällchen in Kokosnuss: Feste frittierte Kugeln mit undefinierbar-merkwürdigem Geschmack.
Dorsch-Polenta-Pralinee in Vollkornteig: Ein Würfelchen aus drei staubtrockenen Schichten - Vollkornbrotkrümel, gekochtes Dorschfilet und trittfester Maisgrießbrei.
Schweinemett im Tako-Brioche: Mett völlig ohne Geschmack und vor allem ohne Salz, sehr sehr kleine Zwiebelwürfel (Wie schneiden die das wohl? Kann ich das auch?) auf einer Art bröseligem Minibrötchen.


Gefüllter Champignon mit Beeftartar: Kein Geschmack irgendeiner Art feststellbar.
Mini-Pizzas (!) belegt mit Salami, Matjes und Poularde: Daran habe ich mich einigermaßen satt gegessen, ist ja auch kein Häppchen im klassischen Sinn.
Dazu ein wirklich sehr gutes hausgemachtes helles und dunkles Brot (ohne Butter oder andere Aufstriche aber etwas trocken) und ein paar ebenfalls geschmacks- und salzarme Saucen.

Tja, was soll ich sagen: Obwohl ich gegen zwölf wirklich schon sehr sehr großen Hunger hatte und das Buffet wirklich lecker aussah, habe ich wenig gegessen - und nach meinem Eindruck haben auch die anderen Gäste nicht sonderlich fröhlich zugelangt.
Fazit: Eine Prunkmahlzeit ohne echten Nährwert, schön anzusehen, prestigeträchtig, aber mehr Schein als Sein. Damit genau richtig für die Buddenbrooks unter uns – falls es mich aber noch einmal in die Schiffergesellschaft verschlagen sollte, würde ich lieber wieder ein Gericht aus der saisonal wechselnden Karte probieren – und hoffen dass der diensthabende Koch einen guten Tag hat.

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

oha, hier war ein echter könner am werk. ich bin durch zufall auf diese seite gestoßen und muß sagen: EINE FRECHHEIT HOCH 10!!

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