Beim Essen zu lesen, ist angeblich ungesund, aber über das Essen zu lesen, hat meines Wissens bis jetzt noch wenig Schaden angerichtet. Aus diesem Grunde litt ich auch gestern unter argem Fingerzittern, als ich in der Leipziger Zweitausendeins-Auslage ein nur leicht ramponiertes Mängelexemplar des „Essen & Trinken“-Bands aus der ausufernden Schotts-Sammelsurium-Reihe für günstiges Geld herumliegen sah. Eigentlich mache ich nicht prinzipiell, sondern instinktiv einen weiten Bogen um Bücher, die in Bestsellerlisten stehen, aber in diesem Fall erinnerte ich mich voller Vergnügen an ein Interview des Literatur- und kulinarischen Gourmets Dennis Scheck in Deutschlands einziger ernst zu nehmender Literatursendung Druckfrisch. Der saß ale-selig mit dem ebenfalls gutgelaunten Ben Schott in einem typisch englischen Pub und tauschte spannende und unterhaltende Nichtigkeiten über eben jenes Buch und die (Koch- & Ess-) Welt aus. Scheck verbarg auch nicht, dass ihm – wie ihm unschwer anzusehen sei – der Gegenstand des gelungenen Buchs sehr am Herzen liege.
Kurzum: Das Fleisch war schwach, meine Hand wanderte mit dem Restkörper sowie dem Buch zu Kasse und lässt sich seitdem nur ungern von letzterem lösen. Ich habe dummerweise die Angewohnheit, solche Schnipselbücher zum Querlesen grundsätzlich wie Romane, also von vorne nach hinten zu lesen, weshalb ich sehr dankbar dafür bin, dass die Arbeit, den Inhalt möglichst unübersichtlich durcheinander zu quirlen, schon andere für mich übernommen haben. Ebenso dankbar nehme ich zur Kenntnis, dass die deutsche Ausgabe wesentlich mehr als eine Übersetzung ist, denn wie in meinem heiß geliebten „Wörterbuch der Gemeinplätze“ von Gustave Flaubert wurden auch hier die zahlreichen unübersetzbaren Wortspiele etc. adäquat ersetzt. Mein augenblicklicher Favorit ist z.B. ein kulinarisches Mini-Wörterbuch Österreichisch-Deutsch, das in mir heftiges Auswendiglern-Verlangen auslöste. Mit Sicherheit wird man 98% des Gelesenen wegen akuter Irrelevanz sofort nach dem Lesen wieder vergessen, was aber immerhin eine Zweitlektüre möglich macht. Der Unterhaltungswert würde diese zumindest rechtfertigen.
Was auch auf zwei weitere Bücher zutrifft, ohne die ich diesen Beitrag nicht zu Ende gehen lassen will. Denn es gibt zwischen den zahlreichen Auslassungen von Köchen bzw. Kritikern und noch zahlreicheren Kochbüchern ja noch diese kleine groteske Sparte von Büchern, die sich damit begnügt, ohne konkreten Gebrauchswert von der Ernährung zu handeln. Ein originelles und kompetentes, aber nicht allzu spannendes Beispiel dafür ist z.B. der Schmöker Cuisine fatale von Christa Weil, der alle möglichen Ekligkeiten auf den Tellern der Welt dokumentiert.
Hochgradig amüsiert habe ich mich hingegen bei zwei vollkommen anderen Vertretern dieser seltenen Spezies. Zum einen ist dies „Kochen für Rockstars“ von der Roten Gourmet Fraktion, den Tourköchen diverser deutscher, tendenziell linkslastiger Bands. In ihrem Erfahrungsbericht erzählen sie nicht nur über den logistischen Sonder- und Ernstfall einer Küche, die jeden Tag neu auf- und abgebaut werden muss, sondern auch über ihre zahlreichen originellen Kombinations- und Darreichungsideen. Anekdoten aus dem essfernen Musikeralltag fehlen natürlich ebenso wenig wie einige wenige Rezepte des Typs „Jägermeistermousse“ oder „Vegetarische Schlachteplatte“. Ein Dank geht an die Dame, die mir ihr Exemplar lieh und es sich dann prompt von mir abkaufen ließ.
Mindestens ebenso ans Herz gewachsen ist mir ein Kleinod des viel zu früh aus dem Leben geschiedenen Michael Rudolf. Das Sammlerstück aus dem Hause Reclam Leipzig hört auf den mittelspaßigen Titel „Hexenei und Krötenstuhl. Ein wunderbarer Pilzführer“ und verwirrt jeden, der mein Bad (dort wohnt das gute Stück) betritt und mich etwas besser kennt. Denn er/sie weiß, dass ich dank eines Kindheitstraumas in keinen Wald zum Pilzesuchen (der Freak spricht euphemistisch vom „Sammeln“) zu bekommen bin. Stattdessen tröste ich mich mit diesem 150-seitigen Scherz, der alles Mögliche ist, aber kein Pilzführer. Vielmehr verstecken sich hinter den Artikeln zu diversen – meines Wissens authentischen – Pilzsorten kleine Prosa-Goldstücke feinstens austarierter Komik, die eine tiefe Hassliebe zur deutschen Gesellschaft im Allgemeinen und ihren pilzbesessenen Parallelgesellschaften im Speziellen erkennen lassen. Klassische Farbtafeln mit Abbildungen vergrößern die Gefahr einer Verwechslung mit echten Pilzführern (ähnlich wie bei Giftpilzen) noch und Gastbeiträge u.a. von Wiglaf Droste lassen den unvorbereiteten Leser noch härter auf dem Boden der Realität aufschlagen.
Auf die Frage „Essen oder Lesen?“ antworte ich also entschieden: „Sowohl als auch!“
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