Montag, 4. Oktober 2010

Krankenhaus-Verpflegung: Bonjour Tristesse!

Ihr werdet mir zustimmen: Es muss etwas faul sein, schweift man gedanklich in andere Sphären ab, während man sich einer Sache eigentlich zu 100 Prozent widmen sollte. Beispiel: Du sitzt das erste Mal mit der Verabredung an einem netten Ort, und während sie/er versucht, intensiveren Kontakt aufzunehmen, schweifen deine Gedanken ab. Zu früheren FreundInnen, zum ARD-Tatort, den du in diesem Moment eigentlich viel interessanter finden würdest, zum fiesen Brief der Hausverwaltung. Ganz klar - der unglückliche Datepartner hat bereits verloren, man sollte die Sache also schleunigst abbrechen. Geht ja auch.

Woran erkennt man, dass dies ein Sonntagsfrühstück ist? Genau: am Ei (rechts unten). Leider hart und fast kalt.

Mit dem Essen ist das ähnlich. Wer über Leckereien und Gaumenfreuden halluziniert, während sie/er gerade vor gefüllten Tellern sitzt, dürfte mit der dargebotenen Speise höchstwahrscheinlich nicht  glücklich sein. Im Restaurant beende ich in diesem Fall die Mahlzeit und gehe nie wieder an den Ort der unerfüllten Sehnsüchte. Im Krankenhaus steht einem diese Option leider in der Regel nicht offen (sofern man nicht in einer unbezahlbaren Privatklinik liegt): man ist quasi in die Kindheit zurück versetzt - gegessen wird, was auf den Tisch kommt, die Alternative ist HUNGER.

Diese Bilderserie dokumentiert meine Ernährung am 20. Jahrestag der Deutschen Einheit in dem in allen anderen Belangen ganz vorzüglichen Krankenhaus in der Mitte der Stadt. Über Qualität, Frische und Nährwert der Lebensmittel will ich nicht diskutieren, die sind bestimmt ohne Fehl und Tadel. Und mit den paar Euros pro Patient und Tag vier Mahlzeiten zu produzieren, ist sicherlich eine echte Herausforderung für den Koch. Aber, um den Sinn dieser langatmigen Einleitung zu erklären, nach ein paar Tagen Großküche schwelgen mein Zimmernachbar und ich während des Essens über Essen. Gutes Essen, ein anderes Essen, Abwechslung, Lust auf Schmackofatz. Die Hauptgerichte sind nicht einmal das Kernproblem. es sind die drei anderen Mahlzeiten, die die Sehnsucht wecken.
Ja, das ist unser Sonntagsbraten. Schweinenacken mit Bayrisch Kraut und Salzkartoffeln. Das angekündigte "frische Obst" stellt sich als Apfel heraus. Und nein: ich habe die Farben des Bildes NICHT manipuliert. 
Es sind die Randmahlzeiten:in ihrer Eintönigkeit, die uns zum Delirieren treiben: Morgens: Fleischwaren (Aufschnitt, Kochschinken, Mettwurst - alles ähnlich in Geschmack und Salzigkeit), der ewige Gummikäse. Die immer gleichen Sorten Honig und Marmelade aus dem Plastiknapf. Dazu Brot oder Brötchen. Kaffee und Kuchen am Nachmittag, lieb gemeint, lieb serviert. Was bekommt man? Die Karikatur eines Kuchens. Siehe unten... Um diese Jahreszeit wünsche ich mir ein Stück Zwetschgenkuchen, eine frische Apfeltorte, gerne auch einen Gugelhupf aus saftigem Rührteig. Für Kassenpatienten ist das nicht drin. Wäre es teurer, würde die Großküche selber backen statt Fertigzeugs zu kaufen?

Knusper, knusper, brösel, brösel. Kaffeezeit! Milch und Zucker nach Wunsch, Gebäck aus der Packung.

Das klassische deutsche Abendbrot: Mischbrot, Leberwurst, Schinken, Käse. Statt einem Bierchen (gehört auch nicht ins Spital, ich geb's zu) schlürfen wir Pfefferminztee. Willkommene Abwechslung: Die Nudelsuppe. Auf Butter oder Margarine hatte ich diesmal freiwillig verzichtet.
Am Abend bringen die Küchendamen und -herren dann eine Variation des Morgenangebots. Nur statt Mett- gibt es nun Leberwurst, Gurkenscheiben und Tomatenecken substituieren Marmelade und Honig, Schnittbrot (Schwarz-, Misch-, Weißbrot) ersetzt die Semmeln. Halleluja. Mein Mitpatient fing an, von Bratheringen und Bratkartoffeln zu reden, ich von Miesmuscheln in Weinsud. An dieser Stelle muss  ich aufhören, über Alternativen zu schreiben. Zu starker Speichelfluss ist schlecht für die Tastatur..

Nun gut, heute Abend gibt es nochmal das deutsche Abendbrot, morgen den überraschungsfreien Frühstücksteller. Das Mittagessen darf ich mir dann endlich wieder komplett selbst aussuchen. Denn am Vormittag werde ich aus meiner Nahrungsunmündigkeit entlassen. Mein armer Mitpatient muss weiter träumen.

10 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Du armes Schwein,
ich weiss wie Du dich gefühlt hast, mir gings nicht anders, meine 1. Mahlzeit entpuppte sich als Salatteller(nach einer Bauch-OP!!). Kommentar der Schwester: Gell, kein Hunger?!
Gummikäse, vertrocknete Brötchen, Brot - unbeschreiblich! Das das Essen nicht von Niveau sein wird, war mir schon klar, aber so wertlos und hingeklascht (kein sinnvolles und ernährungsnotwendiges Zusammenstellen).

Schön wieder m(d)ein eigens Essen geniessen zu dürfen! LG Dosy

Fondue Beat hat gesagt…

Haha, wirklich armes schwein! Hoffe das wenigstens der rest i.o. war!

GutesEssen hat gesagt…

Danke für euer Mitleid... Aber inzwischen habe ich mich erholt und darf mich wieder selbständig nach meinem Geschmack ernähren. Die Behandlung war übrigens um Klassen besser als die Verpflegung.

Heiko hat gesagt…

Wer kennt denn dieses Grauen nicht?
Besonders nett wenn man als Vegetarier bei wechselnder Crew jeden Tag aufs neue die Früchstücksplatte zurückgeben lassen muss. Naja, Sonderwünsche passen da halt nicht. :-)
Schön das Du es überstanden hast.

GutesEssen hat gesagt…

@Heiko: Ja, als Vegetarier sieht es nicht gut aus. Da bleibt nur Marmeladen- oder Honigbrötchen, Schmelzkäsewürfel und Butter. Warum rühren die nicht mal einen Eimer Guacamole an(schmeckt toll auf Brot) oder schnippeln Obstsalat?

Foodfotograf hat gesagt…

Wenn man es nicht essen muß... Die Bilder haben eine besondere Ästhetik.
Gibt es denn keine Krankenhausessenzusatzversicherung?

GutesEssen hat gesagt…

@Foodfotograf: Ich hab mir schon Mühe gegeben mit der Ästhetik - was halt so möglich ist mit einer alten Bridgekamera im Krankenzimmer und Schläuchen im Rücken ;-) Die Idee mit der Essenszusatzversicherung sollte man mal einem Privaten Krankenversicherer erzählen, das findet bestimmt reißenden Absatz.

Foodfotograf hat gesagt…

Nun, besser Schläuche im Rücken als den Kunden im Nacken...

GutesEssen hat gesagt…

:-) Dem möchte ich nicht uneingeschränkt zustimmen.

Mittemaedchen hat gesagt…

Ich habe die Erfahrung mit Krankenhausessen auch so gemacht. Und bei mir gab es noch nichtmal Salat. Den hat mir mein Mann immer in einer Tupperschüssel mitgebracht... Was ich nur nicht verstehe, ist, dass Essen ja auch gesund macht. Wie kann man denn dann massenhaft Schweinefleisch, Fertigsaucen und Schmelzkäse servieren? *Schüttel*
Eine Freundin hat hier www.havelhoehe.de entbunden und da war das Essen richtig gut. :-)

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