Mittwoch, 29. Oktober 2008

Flüssiger Rettungsanker aus dem Süden

Wann immer das Gesprächsthema auf tschechisches Bier kommt, kippt mein Gesichtsausdruck ins leicht Gequälte. Nicht, dass ich die Gerstenkaltschale aus der Republik ohne Meeranschluss nicht schätzen würde - im Gegenteil, ich freue mich auf jede Fahrt an die Moldau wie verrückt, weil ich weiß, dass ich blind eine "desitka" bestellen kann und auf jeden Fall etwas Trinkbares bekomme.

Nein, vielmehr setzt mir das zu, was in hiesigen Breitengraden in Verkaufsregal und Kneipenkühlschränke kommt. Jahrelang war das neben dem exzellenten Pilsner Urquell fast gar nichts, gelegentlich gab es irgendwo ein schwarzes Krusovice (und die tschechischen Schwarzen sind ebenso süß wie ihre deutschen Brüder mit der Ausnahme Köstrizer). Dann wurden die EU-Zollrichtlinien geändert und eine Masse bekannter und unbekannter Marken schwemmte in Discounter- und Getränkemarktregale. Was dort landete, waren zum Teil renommierte Marken, die sich hiesige Multis als Premiummarke (Krusovice, Branik, Budweiser) eingekauft hatten, oder schlicht erfundene billige Marken (Louny, Lobkowicz, Bohemia).

Das ist - bis auf die wahrscheinlich riesige Gewinnspanne, denn die meisten Gebräue kosten bei den Nachbarn einen Bruchteil - an sich noch nichts Schlechtes. Kriminell wird es erst, wenn man sich den Inhalt der Flaschen zur Brust nimmt. Die Discounter-Tschechen erwiesen sich allesamt als untrinkbar und unterbieten teilweise an Schalheit noch das berüchtigte Sternburg-Pils. Die sehr teuren Markenbiere müssten diese Klippe eigentlich umschiffen. Wie gesagt: müssten. Aber irgend jemand muss in einer sehr trüben Minute entschieden haben, dass nicht die Pils-Variante, sondern das geschmacklich schwächere Export (Krusovice) oder Lager (Branik) exportiert werden. Und so wandelt der Bierliebhaber schulterzuckend an den böhmischen Kästen vorbei oder greift seufzend doch wieder zum brieftaschenkillenden Urquell.

Aaaaaaaber: Kürzlich erschien in meinem grauen Alltag ein unerwarteter wie heller Lichtstrahl. Er blendete mich aus einem versteckten Winkel hinter einer Südleipziger Getränkemarktkasse durch den schlichten Fraktur-Schriftzug "Gambrinus". Eine Nachfrage bei der Kassenbesatzung provozierte spontane Luftsprünge - ja, das sei jetzt ständig im Angebot. Zwar zum Premium-Preis, aber immerhin ein echter Pilsener.



Was an dem Tropfen so toll ist? Es handelt sich um den kleinen Bruder von Pilsner Urquell. Der kommt ebenfalls aus der Mutterstadt des Bieres und hat seine Brauerei direkt neben der, in welcher die Weltmarke gebraut wird und die den selben Besitzer hat. Folglich, wohl auch wegen ähnlichen Wassers, schmeckt das Gebräu dem Primus sehr ähnlich und hat die typisch tschechische ... nun ja, ich nenne es Fruchtigkeit. Auch hier haben wir es mit einem Lager zu tun, aber eines, das in der Qualität nicht wesentlich abfällt. Außerdem habe ich jetzt endlich wieder die Möglichkeit, das schönste Bierglas der Welt, für das ich vor fünf Jahren extra nach Plzen fuhr (dort gibt es ein umfangreiches Biermuseum mit Werksverkauf - man will ja nicht klauen), wieder adäquat zu füllen.

Großartige Werbekampagnen oder eine deutsche Homepage gibt's nicht, was auch etwas Sympathisches hat. Nur einen möglichst weitreichenden Vertrieb, den wünsche ich diesem Neuankömmlig auf dem deutschen Markt von ganzem Herzen. Prost!

P.S.: Wann kommt Velkopopovický kozel? Angeblich kommt der schon auf uns zu galoppiert, unkt die Presse.

5 Kommentare:

Schtief hat gesagt…

Gambrinus? gibs doch schon ewig bei uns oder sitze ich da auf dem faslchen Pferd. Kann mich erinnern zum Highfield Anfang 2000 schon Kistenweise Gambrinus dabei gehabt zu haben.

btw. das bohemia ist echt nen biiligbier, aber für die 30 cent oder so schmeckt es ganz ok wenn es kalt ist.

steffenh hat gesagt…

Tschechen-Bier vs. Schmelzkäse 1 bzw. 2:0 - das trage ich voll zufrieden mit. Da stehe ich dahinter. (Man kann auch im Stehen einen sitzen haben, sage ich immer.)

GutesEssen hat gesagt…

@schtief

"Ganz ok wenn kalt" ist kein Argument - kalt kannst du jede Brühe saufen, wie mein Bruder sagen würde. Vereiste Geschmacksknospen schmecken nichts.

@steffenh

Versuch hier nicht, die Köstlichkeiten Sachsen-Anhalts kleinzureden.

Eintopf hat gesagt…

Ein Bekannter machte mich netterweise darauf aufmerksam, dass es sich bei den tschechischen, als "Lager/Lezak" deklarierten Bieren wohl um Pilsner (wegen ihrer Fasslagerung) mit 12° Stammwürze (tsch: "dvanactka") handelt, wohingegen die von mir so geschätzten "Svetle"-Versionen die leichteren und auch in Kneipen oft angebotenen 10°-Ausgaben sind, die man leider den deutschen Gaumen nicht zumuten möchte.

Es gibt natürlich auch andere Stammwürze-Werte. Das von mir noch nicht probierte "Gambrinus Exelent" kommt mit 11° daher; die berüchtigte Brühe aus dem Prager "U Fleku" (inzwischen auch an der Leipziger Karl-Liebknecht-Straße zu haben) hat meines Wissen um die 13 oder 14. Schmeckt aber immer noch schrecklich.

Anonym hat gesagt…

Wer in die Gegend von Liberec kommt: das beste mir bekannte leichte Lager ist das Svijani, als Desitka oder 11-Grad-Variante schmelzend zart mit üppiger Krone. Laut Etikett nicht pasteurisiert. Gibts manchmal auch in Zittau.

Kommentar veröffentlichen

Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.