Ich hatte es nach meiner letzten "Tour de Melange" angedroht - es würde nicht mein letzter Besuch in Wien bleiben. Und wenn man schon ausgerechnet im November Urlaub haben muss, dann doch lieber in einer größeren Stadt mit Räumlichkeiten, in denen man auch das nasskälteste Wetter ignorieren kann. Also ging es erneut an die Donau, um die systematische Abklapperung der Kaffeehäuser fortzusetzen. Allerdings werde ich mich nicht über die Qualität des Kaffees auslassen: Egal ob in elegantem Café oder verranzter Kneipe, kein Wiener war in der Lage, uns einen schlechten vorzusetzen.
Auch diesmal versuchten wir uns weitgehend um die touristisch belagerten Kaffeehäuser zu drücken, obwohl schon unser erster Fluchtort vor dem Nieselregen in der Standard-Einflugschneise liegt. Das Café Museum liegt in der Operngasse 7 und damit in Spuckweite vom Karlsplatz. Es wurde 1899 von Adolf Loos eingerichtet, was nicht erwähnenswert wäre, wenn man nicht vor einigen Jahren die Eingriffe der Dreißigerjahre wieder nivelliert hätte. Die alte, neue Einrichtung in sattem Grün hat zwar etliche Stammgäste vertrieben, liefert aber genau jene mondäne Note, wegen der man in Wien gerne wesentlich mehr Kafee konsumiert als sonst. Die Kuchenstücke aus der verlockende Auslage lassen sich ebenfalls bedenkenlos konsumieren. Gerade die unbeschrifteten halten Überraschungen bereit - wir landeten ungewollt bei einer ausgewogenen Mohntorte.
Die zweite Station wird dem Namen "Kaffeehaus" in der klassischen Vorstellung kaum gerecht. Schließlich ist das Café Teitelbaum im Jüdischen Museum, Dorotheergasse 11, eher eine kleine, schmucklose Bar mit sehr begrenztem Angebot. Für Tradition ist ja schon 50 m weiter das Hawelka zuständig. Laut Eigenwerbung wird im Teitelbaum, den "Falter" zitierend, der beste Kaffee der Stadt gereicht. Die Schokolade meiner Begleitung war angenehm kräftig, aber mit Sicherheit kein Maßstab. Mein aufgrund der seltenen Gelegenheit georderter türkischer Kaffee hingegen - im Kupferkesselchen über einer Flamme gesiedet, gesüßt und mit Kardamom gewürzt - stand meinem bisher besten in der Altstadt von L'viv tatsächlich in nichts nach.
Das Café Prückel liegt an der Ecke Stubenring/Dr.-Karl-Lueger-Platz, und somit in praktischer Nähe zum Museum für Angewandte Kunst. Wenn man im MAK, wie das dienstags möglich ist, bis 24 Uhr Thonet-Sessel und Geschirr der Wiener Werkstätte bestaunen will, sollte man sich gestärkt haben. Da eine Wiener Bekannte das Prückel als Lieblingsort pries, suchten wir dort mit ihr gemeinsam unser Heil. Stilistisch gehört es mit Sicherheit zu den angeranzteren Kaffeehäusern der Stadt. An die Jugendstil-Vergangenheit als "Café Lurion" erinnern nur noch Teile der Einrichtung, der Rest atmet deutlich den Hauch der 50er - und der zahlreichen Glimmstengel. Leser, Laptop-Klapperer und Bridge spielende Damengruppen suchen hier Schutz vor Touristen und Rush-Hour. Mit Rücksicht auf das Museumsprogramm verzichteten wir hier auf den gepriesenen Apfelstrudel und griffen zur Speisekarte. Das war ein Fehler, denn der mit Abstand granteligste Ober der besuchten Lokale servierte uns ein unspektakuläres, enorm fetthaltiges Rindsgulasch und eine Gemüsequiche, die ausschließlich aus Salz bestand. Vielleicht hat dieser Ringstraßen-Überlebende eine zweite Chance mit Apfelstrudel verdient.
Angeblich sollen ja Wiener Ober für ihre Unfreundlichkeit berühmt sein. Es gibt aber offensichtlich auch Nestbeschmutzer, zum Beispiel im Café Ritter an der Mariahilfer Straße 73 (nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen Café in Ottakring). Das hat 100 Jahre auf dem Buckel und möglicherweise nicht mehr viele vor sich, denn es steckt mitten im Insolvenzverfahren - der Hauseigentümer will das Traditionslokal mit frechen Mietforderungen rausekeln. Das wäre arg schade, denn diese Oase mitten im Kommerzgewimmel von Mariahilf vereint mit hohen Räumen, roten Sitzen, Marmortischen, reichem Mehlspeisenangebot und noch üppigerer Auswahl an Lesestoff sämtliche positiven Seiten eines Kaffeehauses alter Schule. Und man kann hier tatsächlich bei freundlichen Obern seine Melange bestellen und sich dann studenlang ungestört damit beschäftigen. Ich hoffe sehr, beim nächsten Besuch dort nicht vor vernagelten Türen zu stehen.
Aber wer von Kaffee spricht, soll von der Süßspeise nicht schweigen. So beantwortete mir die Kurkonditorei Oberlaa beispielsweise die Frage, was denn an den bunten, französischen Macarons so toll sein soll. Die ersten Test-Exemplare aus einer Leipziger Patisserie waren im Wesentlichen klebrig, ihre Wiener Brüder hingegen - nicht teurer und äußert liebevoll über den Tresen gereicht - wunderbar luftig und mit vielfältigen Aromen gesegnet. Auch an den übervollen Auslagen der Konditor-Kette Aida kamen wir nicht vorbei, was vor allem an den ästhetisch wertvollen Egon-Schiele-Pralinés gelegen haben dürfte. Die entpuppten sich zwar als aufgemotzte Dominosteine, ihre Kollegen (u.a. Pralinen mit Maronen, Kokos und Obstbrand) sorgten hingegen für manches lustvolle Stöhnen.
Auch die herzhaften Genüsse sollen nicht verschwiegen werden. Schließlich galt es, das größte Versäumnis des Frühsommers nachzuholen und endlich einen Heurigen zu besuchen. Der wahllos ausgewählte Heurigenschank "Zum Berger" in der Himmelstraße 19 zu Grinzing erwies sich als guter Griff. Seit 1713 wird dort in Lokal und Garten in rustikaler Atmosphäre das frisch Gekelterte ausgeschenkt. Den leicht prickelnden, weißen Jungwein gibt es dort traditionell im Viertelliter-Henkelglas. Überall lockte man mit Martinsgänsen, weshalb ich zumindest eine Gansl-Suppe versuchte. Die Brühe war ausgezeichnet, nur die Einlage rekrutierte sich vermutlich primär aus Resten der Bratenherstellung. Rundum begeisternd war hingegen das "Grinzinger Gröstel" aus gebratenen Kartoffelwürfeln und drei Sorten Fleisch, das kaum jemanden hungrig lassen dürfte. Seine vegetarische Version aus Kartoffelspalten, mittel- bis südeuropäischem Gemüse und reichlich Olivenöl für meine Begleitung hatte mit ihm nicht viel gemeinsam und hätte in dieser Form auch auf die Karte eines mediterranen Restaurants gepasst. Der hausgemachter Grinzinger Traubengeist als Absacker war die ideale Medizin gegen den aufkommenen Schnupfen.
Der trug auch die Mitschuld daran, dass die Geschmacksnerven am letzten Tag keine kulinarischen Höhenflüge verlangten. Aber für deftige, preiswerte Ernähung sorgen ja in Wien die Beisl, also die einfachen Wirtshäuser. Die von uns wiederum willkürlich gewählte "Alte Bäckerei" in der Josefstadt (Burggasse 29) lockte vor allem durch ihre wunderschöne Bäckerei-Fassade. Der Innenraum entpuppte sich allerdings als skurriles Sammelsurium aus Nostalgie-Wandbehang, Standard-Kneipenmöblierung, Dart & Kicker, Flachbildgeblinke und Radiobeschallung. Das Rindsgulasch stellte die Prückel-Version aber locker in den Schatten und auch das überbackene vegetarische Riesen-Brot (mit grüner Gurke!) kam definitiv nicht aus der Tiefkühltruhe. Erfreulich auch, dass selbst in einem Eck-Pub-Kneipen-Beisl der Kaffee auf dem Silbertablett inkl. Wasser kommt. Der warme Topfenstrudel dazu war etwas pappig, die Schoko-Haselnuss-Palatschinken wiederum einwandfrei.
Nicht allzu ausführlich will ich an dieser Stelle die verkosteten Biersorten bekritteln. Wieselburger, Stiegl, Gösser (abgefüllt & vom Fass) und Hirter (ebenfalls in beiden Varianten) sind grundsolide Getränke, die aber einen Freund der norddeutschen Herbheit nie in Extase treiben werden. Vielleicht tun das ja im Nachhinein die Mitbringsel im Handgepäck - Kaminwurzen, Tiroler Speck, Vogelbeergeist und Veltliner-Brand für die Zeit bis zum nächsten Wien-Ausflug. Definitiv wird dann das Buch "Das Wiener Kaffeehaus. Legende. Kultur. Atmosphäre" (erschienen 2007 im - kein Scherz! - Pichler Verlag) mein Begleiter sein. Dort findet man nämlich nicht nur literarisches Stilbewusstsein und erlesene Fotos, sondern auch den einen oder anderen Tipp, der in einschlägigen Touristenführern fehlt.
4 Kommentare:
Hallo, happy blogging...!!!
Wollte nur mal einen Gruß da lassen. War zu Besuch auf deinem Blog. Wünsch noch einen schönen Tag.
Das gehört jetzt nicht zum thema, aber kümmert sich überhaupt noch jemand um den blog?
ich würde gerne hie und da etwas beitragen wollen, aber ins leere schreiben möchte ich auch nicht.
???
Was Kaffee angeht, bin ich Wirkungstrinker.
Hallo anonymer Poster,
ja ich kümmere mich jetzt wieder um das/den Blog. W
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