Montag, 11. August 2008

Sushi ist eben nicht gleich Sushi

Einer der anstrengendsten Aspekte des Umziehens, mal vom körperlich Anstrengenden wie dem Transport von Küchenarbeitsplatten abgesehen, ist die erzwungene Aufgabe alter Gewohnheiten. Ohne die geliebten Routinen fühlt der umgezogene Mensch sich nackt und bloß, geworfen in einen unübersichtlichen Strudel von Möglichkeiten, überfordert von Entscheidungen. Um hier nicht unterzugehen, sind neue lebensentlastende Routinen vonnöten, die sich meistens schon ohne großes eigenes Zutun nach kurzer Zeit am Horizont zeigen und vom tendenziell reizüberfluteten Neu-Hauptstädter (also mir) dankbar geentert werden.

Der Einkauf von Bekleidung und anderen Dingen, der sich nicht im Nahbereich erledigen lässt, ist immer noch so eine Expedition in unbekanntes Terrain. Folgerichtig habe ich bisher sogar den Kauf von Socken auf meine Besuche in Leipzig verschoben. Aber erstens sind jetzt Semesterferien und zweitens muss das ja irgendwann mal anders werden - und, siehe da, erste Gewohnheiten stellen sich ein! Die Einkaufsstraßen der sogenannten "City West" ergeben langsam eine einigermaßen kohärente innere Landkarte und werden gewöhnlich von West nach Ost durchschritten. (Kleine Abschweifung: Der Mythos der "Berliner Schnauze" wurde ohne Zweifel in jenem Gebiet zwischen Bahnhof Zoo, Tauentzienstraße und Wittenbergplatz geboren. Hier arbeiten ganz entzückende ältere Verkäuferinnen, die haben sogar den loriotesken Klassiker "Hat er die Jacke denn schon anprobiert?" im Repertoire, während der so zum Objekt degradierte "er" direkt daneben steht. Abschweifung Ende.)

Die Vorgehensweise von West nach Ost hat den Vorteil, dass sie am Wittenbergplatz endet. Ist Besuch dabei, geht man dann noch ins KaDeWe und danach ins Akitama. Ohne Besuch geht man sogar sofort ins Akitama.

Das Akitama ist genau das, was ich an diesem Touristenbrennpunkt niemals vermutet hätte: Ein grün-goldene Oase in der sichs angenehm sitzen lässt, mit freundlicher Bedienung, ausgezeichnetem Essen und für die gebotene Qualität angemessenen Preisen.
Vergleicht man das Akitama mit irgendeinem typischen Sushischuppen in Mitte oder sonst einem zielgruppenrelevanten Stadtteil, fällt auf, was es alles im Akitama nicht gibt - nämlich keine Animes, keine unbequemen Barhocker, keine Bionade, keine laute "hippe" Musik, kein Sushiförderband, keine ketchupähnlichen Saucen auf den Sushi, keine Majonnaise, kein Frischkäse, keine Flatrate/ zwei für eins/ happy-hour/ all you can eat-Aktionen und vor allem: keine angelernten Hilfskräfte, die irgendwie mit stumpfen Messern grob abgesäbelte Rohfischstücke auf Reisbatzen legen und das zäh-labbrig-klebrige Ergebnis als Sushi servieren.

japanische ReissuppeReissupe mit Lachs (kleine Portion)

Das Mittagsmenu zu 8,90 Euro wird im Akitama dankenswerterweise zwischen 11 und 16.00 Uhr serviert. Bei unseren ersten Besuchen war es schon später und aus mir heute unverständlichem Geiz begnügte ich mich damals mit einer Hühnersuppe (Tan-Men 5,90 Euro) bzw. beim nächsten Mal mit einer Reissuppe mit Lachs (Sake-Chazuke 4,90 Euro). Die Suppen sind gut, keine Frage, große Portionen, die jeweils frisch zusammengestellt werden.

Die Reissuppe besteht aus einer klaren Brühe, die ungeheuer frisch fischig-jodig-salzig schmeckt wie ein Schluck Meerwasser und mit gekochtem Reis, Lachsstreifen, Seetang und Kresse serviert wird. Die Hühnersuppe baut auf einer milden nicht-fischigen Brühe auf und mit der üppigen Einlage aus Weizennudeln, Hähnchenfleisch, Gemüse, Sprossen und Kresse ließ sie mich wohl gesättigt, sehr zufrieden, aber nicht überfressen zurück.

SushiauswahlSushi aus dem Mittagsmenu

Beim letzten Mal nun waren wir endlich rechtzeitig für das Mittagsmenu gekommen, bestehend aus einem grünen Tee, einer kleinen Portion der schon erwähnten Reissuppe und einer kleinen Sushiauswahl (Maki mit Lachs, Nigiri mit Thunfisch und gekochter Garnele) - und diese Sushi waren einfach eine Offenbarung! Sushi ist eben nicht nur kalter Reis und roher Fisch - das ist es, wenn es ein Laie herstellt. Diese Sushi schmecken unvergleichlich frisch und, ja, differenziert. Der Fisch schmilzt geradezu im Mund. Der Reis hält gut zusammen, ohne mundverklebend-massiv zu werden. Sogar der eingelegte Ingwer scheint mir von besserer Qualität zu sein als anderswo. Kurzum: Im Akitama habe ich an diesem Nachmittag kapiert, was der Unterschied ist zwischen einem Sushimeister und einem Aushilfskoch. Und dass das, was ich in Berlin bisher als Sushi gegessen hatte, im Vergleich bestenfalls medioker gewesen war.

Das Akitama hat damit als Referenzsushiladen meinen bisherigen Favoriten, das Sakura in Leipzig abgelöst. Und nach dem nächsten Einkaufstrip - ob nun vor oder nach 16.00 Uhr - wird es kein Halten mehr geben: Madoka-Platte, ich komme!

Update 13. August 2011 (von GutesEssen)

Seit diesem Esserlebnis waren wir über die Jahre mehrere Male im Akitama. Wenn wir uns am Ku'damm rumtrieben, endete das in der Regel mit einem Abstecher zu Sushi und Udong-Suppe am Wittenbergplatz, einmal auch mit unserem Freund Deef Pirmasens - immer zu unserer vollsten Zufriedenheit. Heute war wieder City-West-Tag; klar, dass wir wieder im Akitama einkehrten.

Ich weiß nicht, was seit unserem letzten Besuch passiert ist, aber dieses Mal war das Essen eine Enttäuschung. Natürlich ist jeder Restaurantbesuch eine Momentaufnahme, doch heute kann ich nur sagen: diese Mahlzeit steht für den Absturz von Spitzenklasse auf Asia-Imbissbuden-Niveau. Wir hatten uns Kitsune-Udon (Nudelsuppe mit gebackenen Tofu-Scheiben für 5,90 Euro) und Tenpura-Udon (Nudelsuppe mit Gemüse und frittierter Garnele, 7,90 Euro) bestellt. Die Udonsuppe mit der frittierten Garnele hatte ich schon mehrmals gegessen - aus gutem Grund. Es war immer ein Genuss an Frische und Geschmack.
"Die Qualität der Zutaten ist jedoch mindestens genau so wichtig. Um dies zu gewährleisten, verwenden wir ausschließlich frisches Gemüse der Saison."
heißt es unter anderem in der Speisekarte und gleichlautend auch auf der Webseite. Da legt der Chef die Messlatte schon von sich aus sehr hoch...

Das frische Gemüse waren diesmal ein paar lieblos über den Nudelhaufen gestreute Möhrenraspeln, sowie geschnippelte Streifen Eisbergsalat und Radicchio. Die zwei Garnelen sahen aus und schmeckten wie aus der Imbiss-Friteusenbox, ganz anders als ihre Vorgänger der letzten Jahre. Was die Gummitintenfischringe in Backteig (ebenfalls verdächtig synthetisch)  in der Suppe verloren hatten - ich weiß es nicht. Sollte hier Masse die fehlende Klasse ersetzen? Dazu gab es noch einen ebenfalls frittierten Batzen aus einer süßlich-geschmacksarmen Gemüsemasse, wovon ich beim besten Willen nicht mehr als einen Bissen herunter bekam. Die sojabraune Brühe schmeckte vor allem salzig (habe immer noch Durst!), auch hier ließ ich das meiste übrig. Wasabi ging es nicht anders - sie ließ fast die ganze Schale stehen.

Wir hatten noch die Madoka-Sushiplatte (Nummer 101 auf der Karte für 11,80 Euro) mit sechs Maki- und vier Nigiri-Sushi. Sie war ok, aber auch nicht mehr - vielleicht war mein Gaumen vom Salz der Brühe noch zu sehr betäubt.  Zudem war das helle Tucher-Hefeweißbier aus, dem ersatzweise bestellten Warsteiner fehlte die Spritzigkeit (früher gab es auch Tuborg, wenn ich mich nicht täusche).

Herr Toyasawa: was ist aus ihrer Kochkunst geworden? Wir hatten uns so auf Ihr Essen gefreut und gingen wie entäuschte Liebhaber. Schade um das schöne Geld.

2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Wir haben mal eine Japanerin gebeten, uns Langnasen zu erklären, woran man gutes Sushi erkennt. Hier ihre Erläuterungen: http://gotorio.squarespace.com/start/2007/10/18/woran-erkenne-ich-gutes-sushi.html

Wasabi hat gesagt…

Das ist ein interessanter Artikel bei Euch, mir war gar nicht klar, dass Majonnaise durchaus auch in Japan bei Sushi gebräuchlich ist. Die großen Unterschiede beim Reis kann ich voll bestätigen - manchmal bekommt man riesige Reisklumpen, die von der Klebrigkeit her auch aus Tischlerleim bestehen könnten. Und der Fisch - der kann manchmal verdammt zäh sein.

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