Doch nicht nach den Prachthäusern stand uns der Sinn. Um Sacher, Demel, Central, Griensteidel & Co. machten wir einen Bogen - die sind so intensiv von Touristen frequentiert, dass man nicht fürchten muss, dass sie beim nächsten Wienbesuch nicht mehr existieren. Stattdessen pickten wir uns jene heraus, die wenn schon nicht von der Schließung, so zumindest von einer Renovierung bedroht sind. Stilvoll gekleidete Kellner mit Frack und Fliege findet man schließlich nicht nur im Dunstkreis der Hofburg. Sitzplätze waren auch nie das Problem, da das breite Touristenvolk sich vorzugsweise draußen unter einem Schirm grillte. Darauf verzichteten wir dankend, denn die Schirme sahen auch nicht anders aus als in Wuppertal oder Anklam. Über die Preise schweigen wir uns hier dezent aus; im Urlab schaut man da ja gerne einmal drüberweg.

1.) Unsere erste Station, das Sperl (seit 1880, Gumpendorfer Straße 11), passt zugegebenermaßen nicht in die Beschreibung von eben. Es liegt zwar nicht im 1. Bezirk, aber an einer belebten Straße und fehlt in kaum einem Touristenführer. Unser (ja, wir gestehen!) Baedeker behauptete aber, dass man dort die beste Melange Wiens serviert bekomme. Die Tatsache, dass dort Jugenstil-Arichtektenikone Josef Olbrich und Konsorten die Sezession aus der Taufe hoben, war der letzte Anstoß, diese Behauptung zu verifizieren. Nun, wir können unserem Büchlein nicht widersprechen: Besseren Kaffee tranken wir in vier Tagen Wien nirgendwo. Die Attraktivität erhöhen neben den hohen, stuckverzierten Wänden und Decken die trotzdem sympathisch durchgesessenen Sitzecken am Fenster sowie die grandiosen Kuchen. Meine Begleitung seufzte leise bei jedem Biss in ihren Nusskuchen (Sperl-Schnitte - eine exklusive Kreation des Hauses), ich delektierte mich an einem ebenso guten Topfenkuchen (die Salzburger Topfenschnitte war leider aus).
2.) Auch unsere zweite Station gewinnt mit Sicherheit keinen Originalitätspreis. Das Hawelka (seit 1939, Dorotheergasse 6) ist vielen ein Begriff und hat sich mir u.a. durch den wunderbaren Satz eingeprägt: "Wenn ich nicht zu Hause bin, bin ich im Hawelka; wenn ich nicht im Hawelka bin, bin ich auf dem Weg ins Hawelka." Aber das angeblich einzigartige Klima hätte man dann doch gern persönlich eingeatmet, zumal die Luft dereinst auch der hoch geschätzte H.C. Artmann verdickte.

Die Anmerkung, dass die Innengestaltung ein Adolf-Loos-Schüler besorgt hat, weckt falsche Hoffnungen. Mit Jugendstil hat das Interieur nichts zu tun, vielmehr regiert hier die Einrichtung der Hochphase, die nun auch schon wieder 50 Jahre zurückliegt. Es ist dunkel, eng und stickig, die Wände sind zerkratzt und trotzdem entsteht der sympathische Eindruck, man habe es hier mit einem Originalschauplatz zu tun. Zumindest die Besitzer und einige Stammgäste geben einem die schöne Illusion, man schaue dem "normalen" Leben zu, wie es sich seit Jahrzehnten abspielt. Die Melange war hingegen keine Großtat und auch die Gäste am Nebentisch, die fragten, ob man denn Kaffee habe, erdeten einen schnell wieder. Trotzdem ein Ort zur Wiederkehr, zumal wir die angeblich legendären Buchteln nicht probiert haben.
3.) In keinem Wien-Führer fand ich hingegen das Café Schottenring (seit 1879, Schottenring 19). Das entdeckte ich im Herbst zufällig auf einer Dienstreise und es sah so einladend aus, dass ich es von innen sehen musste. Es ist das Gegenprogramm zum Hawelka - mondän, großräumig, glanzvoll, mit leichter Tendenz zum Kitsch (was z.B. die Achtziger-Improvisationen auf dem Flügel angeht). Außerdem schleicht sich hier mit W-LAN, Surfstation und Kartenständern dezent die Gegenwart ein. Das Café konnte als eines von wenigen der einst fast 30 Kaffeehäuser am Ring überleben.

Viel Licht lädt zum intensiven Studium des umfangreichen Zeitungsangebots ein. Also fanden wir uns mit der aktuellen "Volltext" (die nicht mal in der DNB gesammelt wird), einem Einspänner (Mokka mit viel Sahne und etwas Zucker) und einem Kapuziner (Mokka mit etwas Sahne) an einem Fensterplatz wieder und glotzten abwechselnd auf die vierspurige Rennstrecke vor dem Café und die schmucke Einrichtung. Meine zauberhafte Begleitung aß sich an einem "Mohr im Hemd" (Schokokuchen in einem See aus dunker Schokosoße, umringt von Sahneschnurpsern) pappsatt, gegen die mein Butterkipferl nicht anstinken konnte - ein schlichtes, recht trockenes Croissant. Der Neid war also recht einseitig verteilt. Irgendwie hatten wir den Eindruck, dass wir trotz des Klaviergedudels noch länger dort versumpfen könnten. Aber es lockte ja Station vier.
4.) Das Café Westend (seit ca. 1900, Mariahilfer Straße 128) gegenüber dem Westbahnhof hatte meine Mittesterin vor Jahren in einem kalten Winter für sich entdeckt und seitdem für die sympathisch verranzte Einrichtung geschwärmt. Weil wir abends noch etwas essen wollten, beschlossen wir dieses Kaffeehaus zur Nahrungsaufnahme zu missbrauchen. Das bot sich an, da der Gehweg vor dem Eingang von etlichen mehrsprachigen Tafeln gesäumt ist, die vor allem zum Essen einladen.

Kulinarischer Bonus:
Für Gaumenkitzel waren (neben den obligatorischen Würschtlbuden) andere Orte im 15. Bezirk zuständig, die eigentlich eigene Artikel verdient hätten. Da wäre zum einen das knackend volle, zugequalmte Hawidere (Ullmannstraße 31), in dem man die Wartezeit auf die etwas verpeilte Bedienung prima mit dem Studium der Einrichtung überbrücken kann, die schon eine halbe Kunstausstellung ist. Dazu hat die Kneipe mit hellem (!) Kozel vom Fass und etlichen Öko-, Bio- und Veggie-Sachen eine spannende große Karte, die man gerne durchtesten würde. Dafür, dass das Nationalteam nebenbei auf dem Bildschirm seit Äonen mal wieder ein wichtiges Spiel gewann, kann man die Besatzung wohl nicht verantwortlich machen.
Ununterbrochen zu bejubeln ist wiederum die leider viel zu leere Hollerei (Hollergasse 9). Vielleicht etwas zu modern-schick (also ungemütlich) eingerichtet, liefert sie jede Woche eine neue kleine, aber feine sowie völlig fleischfreie Karte, die auch Nicht-Veggies den Geifer tropfen lässt. Der Kram schmeckt auch noch exorbitant gut und wer dazu noch (wie wir) im Besitz der "Vienna Card" ist, dem verbreitert sich das Dauergrinsen noch beim abschließenden Bezahlen.
Wien, wir kommen wieder!
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